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Der (Rück)weg ist das Ziel.

 

 

 

„Der Weg ist das Ziel“  ist ein Spruch, der oft Instagram Bilder und Grußkarten ziert. Es ist eine Lebensweisheit, die uns erinnern soll nicht nur mit Tunnelblick auf unsere Pläne hinzusteuern, sondern auch den Prozess oder die Entwicklung dieser Pläne zu genießen.

 

 

Ich muss immer daran denken, wenn ich Videos oder Fotos von Freiarbeit mit Pferden sehe. Zwei Bilder zeigen beinah das Gleiche, z.B. wie ein Pferd im Kreis um einen Menschen frei galoppiert. Weniger erfahrene Menschen können vielleicht die feinen Nuancen in der Mimik des Pferdes nicht lesen und sehen nur das erreichte Ziel. Die Lernwege dahin können aber ganz unterschiedlich sein.  Sagen wir, eines der Pferde wurde mit positiver Verstärkung trainiert, das andere mit negativer Verstärkung.  Welcher Weg wäre für mich und mein Pferd stimmiger? In diesem Fall wäre mein Ziel den besten gemeinsamen Weg für uns zu finden.

 

 

Vor ein paar Monaten befand ich mich in einer Situation, wo dieser Spruch eher buchstäblich zu verstehen war. Es ging um einen tatsächlichen Feldweg.

 

 

Meine Stute befand sich im Krankenstand. Aus Gründen, die noch immer nicht vollständig geklärt sind, konnte sie kaum Heu fressen. Gras hingegen kaute sie problemlos. Sie ist normalerweise eine etwas rundliche Dame, die zu Hufrehe tendiert und steht deswegen in einem Stall mit begrenzten Weiden.  Der Stallbesitzer hat uns deswegen netterweise erlaubt an den Grenzen seiner Heuwiesen grasen zu gehen.  Praktischerweise führte einen Feldweg zwischen beiden Weiden hindurch. Und so, für ein paar Stunden am Tag fast zwei Monate lang, bewegten Hafi und ich uns auf diesem Weg auf und ab, auf der Suche nach besonders leckeren Grashalmen.

 

 

Jetzt muss man wissen, dass meine Stute immer im Gelände ängstlich war, noch mehr, nachdem sie ein Auge verloren hat. Als sie jünger war, habe ich auch diesen Teil ihrer Ausbildung vernachlässigt, weil ich mich mit einem Kleinkind nicht weit vom Stall entfernen konnte. Da Mira immer so bemüht ist mir alles recht zu machen, konnten wir schon allein ausreiten. Jedoch war es immer eine totale Überwindung für sie. Weil ich das Gefühl nicht mochte auf einem verspannten und unglücklichen Pferd zu sitzen, ließen wir das Thema Gelände meistens sein. In dieser Situation waren wir jetzt draußen ohne irgendeine Agenda, ohne dass meine Wünsche im Vordergrund standen, ohne irgendwo hingehen zu müssen. Futteraufnahme war das Ziel. Ich hatte sie an einem langen Seil, sodass sie nicht zu weit in die Heuwiese hinein trampelte, aber sonst konnte sie frei auswählen, wie weit und für wie lange sie vom Stall wegbleiben wollte. Dabei hatte ich ganz viel Zeit zum Beobachten.

 

In den ersten Tagen fraß meine Stute nur ganz am Anfang des Weges, wo sie noch andere Pferde auf den Koppeln sehen konnte. Als die Pferde aus ihren Sichtfeld verschwanden, drehte sie um und ging nach Hause. Dann traute sie sich immer weitere Strecken vom Stall zu entfernen.  Ich merkte oft ihren inneren Konflikt; sie hatte Hunger, aber sie fürchtete sich etwas. Absichtlich bat ich sie nie weiter zu gehen, als sie selber wollte, mich faszinierte es einfach, wie sie selber die Entscheidungen traf. Ich versuchte meine Erwartungen wegzulassen, es nicht persönlich zu nehmen (Warum reicht es meiner Stute nicht, dass ich da bin? Warum vertraut sie mir nicht genug?).

 

Was ich beobachten konnte…

 

Ihr Mut hing von der Tagesverfassung ab. Manchmal blieb sie ganz am Anfang des Weges, manchmal wollte sie gar nicht weg vom Stall. Manchmal legten wir relativ lange Strecken zurück. Es gab Tage, an denen ich den Grund für ihre vermehrte Angst erkennen konnte – z. B. Dämmerung oder Rehe auf der Weide, aber auch Tage als die Gründe für mich nicht ersichtlich waren.

Den Weg weg vom Stall ging sie langsam mit vielen Fresspausen und den Rückweg ging sie meistens eilig mit kurzen und wenigen Fresspausen. Falls sie sich auf der Suche nach den perfekten Grashalmen weiter wagte, als sie sich eigentlich wohl fühlte, kippte ihre Stimmung ganz schnell und sie marschierte panisch nach Hause, wobei ich zu tun hatte sie zu beruhigen.

 

 

 

Als Pferdetrainer sind mir diese Erkenntnisse nicht neu, aber es war spannend es bei meinem eigenen Pferd zu beobachten.  In der Tat werden alle meine Bodenarbeit und Gelassenheitstrainings so ausgelegt, dass Pferde selber entscheiden können, wie viel sie sich gerade zutrauen. Ich nutze einige Werkzeuge um Mut und Selbstbewusstsein der Pferde zu steigern, sodass sie Aufgaben entspannt und erfolgreich meistern können.

 

Praktisch läuft das so ab.

 

 

 

1)     Aufgaben werden in kleine Stücke zerteilt. z.B.  bevor ein Pferd auf einer fürchteinflößenden Plastik-Plane stehen muss, darf es erst mal über einen kleinen Zipfel der Plane steigen.

 

2)    

D   Das Pferd wird gezielt vor und nach einem Hindernis gerade angehalten, zuerst in einem Abstand, wo es sich wohl fühlt.

 

3)    

D   Das Pferd wird ermutigt, seinen Kopf nach hinten zu drehen um ein Objekt in seinem blinden Fleck zu beobachten. Das ist eine Fähigkeit, die viele Pferde erst lernen müssen. Oft rennen sie instinktiv herum oder drehen ihren ganzen Körper.

 

4)    

E    Es wird darauf geachtet, dass das Pferd in einen Zustand der entspannten Aufmerksamkeit bleibt. Das Tellington TTouch Training bietet ganz viele Möglichkeiten, das zu erreichen, z.B. Körperbänder, TTouches und Techniken wie Kopfsenken und Gerte Abstreichen.

 

5)    

        Ein bisschen Heu zu kauen bringt das Pferd in einen entspannten Nervenzustand. Allerdings sollte das Futter nicht zu wertvoll sein, es gibt viele Pferde, die sich weit aus ihrer Komfortzone lehnen um ein Leckerli zu bekommen und dann überfordert reagieren.

 

Erfreulicherweise kann mein Hafi wieder Heu fressen und kriegt sogar leichte Rundungen. Jetzt, da die teuflischen Bremsen größtenteils weg sind, fange ich mit dem Thema Gelände wieder an. Ich verknüpfe meine Beobachtungen vom Frühjahr mit meinem Trainingswissen. Momentan ist die Betonung auf dem Spazieren und immer weniger auf dem Grasen.

 

 

Ich nutze Tellington Körperbänder um dem Pferd ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Ich nehme meine Tellington Gerte mit, nicht um Druck zu erzeugen, sondern um das Pferd zu erden, indem ich seine Beine abstreiche. Besondere Aufmerksamkeit widme ich dem Rückweg. Erstens schau ich, dass ich nie so weit gehe, dass ich nicht entspannt zurückkommen kann. Zweitens wende ich das Prinzip „Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück“ an, indem wir ein Stück den Weg entlang spaziere und einen kleinen Teil wieder zurückgehe, bevor wir uns wieder vorwärts bewegen. Und letztens halte ich auf dem Rückweg bewusst an und ermutige meine Stute nach hinten zu schauen.

 

 

Bis jetzt haben wir in ein paar Einheiten super Fortschritte gemacht mit dem Ergebnis, dass Mira ihre Zeit draußen so genoss, dass ich sie ziemlich überreden musste, zurück zum Stall zu gehen. Ich kann euch nur ermutigen, euren Pferden ein Stück Entscheidungsfreiheit zu geben und bin gespannt auf die Ergebnisse!