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Wieviel „Muss“ brauchen wir in unserem Leben mit Pferden?

Der Jahreswechsel ist traditionell die Zeit, in der wir über Träume und Ziele nachdenken. Zugegeben, die Pandemie schränkt uns momentan etwas ein, aber wir Pferdebesitzer haben das Glück, dass wir noch einiges mit unseren Pferden unternehmen können. Ich hätte auch einen Vorschlag. Statt eine lange Liste von kurzlebigen Neujahrsvorsätzen zu schreiben, sollten wir uns Zeit nehmen, zu überlegen, inwiefern Ziele für uns überhaupt wichtig sind.

Ich habe im letzten Lockdown viel über den Ausdruck „Muss“ nachgedacht. Wie ihr vielleicht in meinem Newsletter gelesen habt, wollte ich eine Entscheidung treffen, inwieweit ich noch Unterricht anbieten werde. Es war für mich eine große Hilfe, das „Muss“ durch ein „Könnte“ zu ersetzen. „Muss“ ist ein interessantes Wort und wird in der deutschen Sprache häufig verwendet. Aber wieviel „Muss“ brauchen wir tatsächlich in unserem Leben mit Pferden?

Sicher ist, dass wir Sätze mit „Muss“ nicht nur häufig aussprechen, sondern auch denken. Manche diese Gedanken sitzen so tief, dass sie uns nicht einmal bewusst sind. Dann werden sie zu unseren sogenannten Glaubenssätzen. Beispiele dafür sind:

 

Ich muss meine Wohnung am Wochenende putzen, bevor ich in den Stall fahren (und mich vergnügen) darf.

 

Ich muss volle Gehorsamkeit von meinem Pferd verlangen, sonst verarscht es mich.

 

Ich muss mein Pferd fünfmal in der Woche reiten, sonst hat es nicht genug Bewegung.

 

Manche Glaubenssätze betreffen nicht nur das Leben im Stall, sondern sitzen sehr tief und beeinflussen unser gesamtes Leben. Dies sind Statements wie „Ich bin nicht gut genug, niemand hat mich gern.“ Diese zu behandeln würde aber den Rahmen dieses Blogs sprengen.

 

Es ist auf jeden Fall hilfreich, unsere unbewussten Einstellungen zu kennen, besonders, wenn wir etwas ändern wollen. Sonst könnte es zu einem inneren Konflikt kommen, der es uns sehr erschwert, unsere Ziele zu verwirklichen.

 

Stellen wir uns eine Frau vor, nennen wir sie Jana. Janas Pferde stehen zuhause in einem kleinen Offenstall. Jana möchte heuer endlich die Reiternadel machen und eventuell bei ein paar kleineren Springturnieren starten. Deswegen hat sie sich schon erkundigt, ob sie zwei Mal in der Woche bei einem nahegelegenen Reitstall Unterricht nehmen könnte. Allerdings kann der dortige Trainer ihr nur unter der Woche am Nachmittag Termine anbieten. Jana lehnt enttäuscht ab, sie arbeitet zwar in Gleitzeit, aber immer bis zum späten Nachmittag, denn BEVOR SIE ZUR ARBEIT FÄHRT, MUSS SIE IHRE PFERDE FÜTTERN UND DEN STALL MACHEN.

 

Wie viel von diesem „Muss“-Satz ist tatsächlich wahr? Fakt ist, dass Pferde regelmäßig gefüttert werden müssen, sonst können zu lange Fresspausen entstehen. Pferde brauchen auch eine gewisse Routine bei der Fütterung, um Verdauungsprobleme zu vermeiden. Was könnte man an Janas Satz dennoch ändern? Möglicherweise das „sie“, also Jana. Vielleicht könnte jemand anderes zweimal in der Woche die Arbeit übernehmen – ein anderes Familienmitglied zum Beispiel oder vielleicht eine Reitbeteiligung. Das Ausmisten könnte man wahrscheinlich auch später erledigen und wenn die Pferde 24 Stunden Zugang zu Heu haben, dann wäre der Zeitpunkt „in der Früh“ möglicherweise auch permanent zu verändern. Jana könnte dann früher zur Arbeit fahren und dank ihrer Plus-Stunden zweimal in der Woche früher nach Hause gehen.

 

Manchmal haben wir so viele interne Gesetze, dass wir ganz unflexibel werden oder unser Stresspegel richtig steigt. Albert Ellis prägte den Begriff „MUSTerbation“ in Bezug auf ein solches Verhalten.

 

Ein „Muss“ kann aber für unser Leben auch sehr hilfreich sein und zwar dann, wenn wir Ziele erreichen wollen. Doch zuerst müssen wir uns noch folgende Frage stellen: Muss ich mir überhaupt Ziele setzen? Nein, gar nicht. Wenn du und dein Pferd glücklich und gesund seid, dann gratuliere. Die meisten von uns hegen aber schon ein paar Wünsche und Träume. Vielleicht würdest du gerne einen mehrtägigen Wanderritt absolvieren oder Freiarbeit mit deinem Pferd machen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir Menschen auch, wenn wir keine Probleme haben, die wir lösen möchten, dennoch das Bedürfnis haben, uns selbst zu verwirklichen. Wir haben also den Drang, etwas Neues zu lernen oder zu unternehmen. Was sind die Unterschiede zwischen Träumen und Zielen? Ziele zu haben, bedeutet vor allem, dass wir in Bewegung kommen, wir tun etwas, wir handeln, wir arbeiten einem Ziel entgegen. Träume können ewig Luftschlösser bleiben und das ist auch gut so.

 

Wie kann man einen Traum erfolgreich in ein Ziel verwandeln? Hier hilft die bewährte Formel „SMART“.

 

S steht für Spezifisch – „Ich möchte besser reiten“ ist nicht spezifisch und daher kein definiertes Ziel. „Ich möchte L-Lektionen reiten können“ ist spezifisch.

 

M – Messbar. Vieles in der Pferdewelt ist sehr subjektiv im Vergleich zu z.B. fünf Kilometer in einer gewissen Zeit zu laufen. Deshalb müssen wir uns gut überlegen, wann wir ein Ziel verwirklicht haben. Bei „besser Reiten“ gibt es ewig Luft nach oben.

 

A – Attraktiv. Wir kennen das von den Neujahrsvorsätzen. Das Rauchen aufzugeben, freut uns nicht wirklich, auch wenn wir glauben, dass wir es unserer zukünftigen Gesundheit zuliebe tun sollten. Daher scheitert dieses Ziel häufig. Auf ein Wanderritt-Wochenende in vier Monaten freuen wir uns schon eher.

 

R - Realistisch. Dein Haflinger wird keine 4-Stern-Vielseitigkeit absolvieren können, einen Einsteiger-Parcours schon eher.

 

T – Terminiert. Ein Zeitplan hilft dir, motiviert zu bleiben. Wenn du „irgendwann“ vorhast, einen Strandritt zu machen, bleibt es meistens bei irgendwann. Natürlich kann man Ereignisse wie eine Pandemie oder ein lahmes Pferd nicht voraussehen. Deswegen evaluiere in regelmäßigen Intervallen deinen Zeitplan und adjustiere ihn, wenn notwendig.

 

Es gibt einen englischen Begriff im Zusammenhang mit dem Erreichen von Zielen. Er lautet „Showing Up“ - auf Deutsch „Erscheinen“ oder „Auftauchen“ - und bedeutet, dass man konsequent Schritt für Schritt in Richtung des ausgesuchten Zieles geht. Dein Pferd wird nicht fitter, wenn du es nur ab und zu reitest, du MUSST regelmäßig reiten. Hier ist das „MUSS“ also positiv behaftet.

 

Wenn man seine tägliche „To Do“-Liste anschaut, fällt auf, dass man die Aufgaben in mehrere Kategorien einordnen kann. Es gibt die

 

1)     „Altlasten“, also Jobs, die man ewig machen wollte – den Satttelschrank endlich aufräumen, zum Beispiel, weil man darin nichts mehr findet.

 

2)     Status Quo Aufgaben sind Aufgaben, die man regelmäßig erledigen muss, um am Stand zu bleiben, wie Ausmisten und Essen einkaufen.

 

3)     Vorwärtsschritte hingegen sind Aufgaben, die uns unseren Zielen näherbringen, z.B. der Reitunterricht.

 

4)     Aufgaben oder Tätigkeiten allerdings, die auf den ersten Blick keinen Nutzen haben – da muss man öfters genauer hinschauen. Die zwanzig Minuten, die wir mit einer Stallkollegin verbringen, um Kaffee zu trinken, befriedigen zum Beispiel das menschliche Bedürfnis nach sozialen Kontakten und sind daher wichtig für unser Wohlbefinden.

 

Wie wäre es, wenn wir es uns zum Neujahrsvorsatz machen, zwei bis drei Mal in der Woche einen Vorwärtsschritt zu nehmen, und sei es nur, etwas im Internet zu recherchieren?

 

Achtung! Der nächste Punkt ist ganz wesentlich. Es gibt einen großen, wichtigen Unterschied, wenn wir uns Ziele setzen, die unsere Pferdepartner involvieren. Ein Pferd kann sich keine langfristigen Ziele setzen und besitzt keinen Ehrgeiz im herkömmlichen Sinn. Wir müssen uns unsere Wünsche ganz genau anschauen, um beurteilen zu können, ob die Umsetzung eines Zieles gegenüber einem Pferd fair ist. Kann ich meinem zwanzig-plus-Pferd mit einer empfindlichen Sehne einen längeren Wochenendritt zumuten? Auch wenn wir aber ganz nüchtern erkannt haben, dass unser Isländer auf jeden Fall Seitengänge lernen kann, wird es Tage geben, an denen wir voller Elan in den Stall kommen, doch das Pferd körperlich oder psychisch nicht in der Lage ist, unsere geplante Übungseinheit zu absolvieren. Da es sowieso klug ist, ein Ziel in viele kleinere Schritte zu unterteilen, empfehle ich deshalb, zwei Listen zu machen. Eine Liste beinhaltet Aufgaben, die mit dem Pferd zu absolvieren sind, und die zweite Liste besteht aus Aufgaben ohne Pferd. Dann können wir gelassen reagieren, statt frustriert zu werden, wenn das Pferd an einem Tag nicht so kann, wie wir uns das vorstellen.

Eine Liste könnte so aussehen:

 

Ziel – Ein mehrtägiger Wanderritt im Herbst

 

Schritte mit Pferd                 

Konditionstraining                                                        

Verladetraining                                                                                        

 (Mehrere kleinere Schritte werden vlt. notwendig.)  

Verschiedene Situationen trainieren                           

- z.B. Wasser überqueren    

                                             

    Schritte ohne Pferd

   Anhänger fahren üben

   Karten lesen lernen                             

   Routen ausfindig machen

   Unterkunft buchen usw.                                                                                                                        

 

Auch Ziele, die scheinbar das Pferd sehr involvieren, können so ganz unabhängig behandelt werden. Denken wir noch einmal an den unspezifischen Wunsch, besser zu reiten. Mit etwas Überlegung finden wir heraus, dass „besser Reiten“ unter anderem bedeutet, einen balancierten Sitz zu haben.

 

Schritte mit Pferd          

Reitstunden                           

Sich selber filmen                 

 Üben!                                            

 

 Schritte ohne Pferd

 Informationen einholen – Was ist überhaupt ein balancierter Sitz? Ressourcen – Webinar, DVD, Bücher, Kursbesuch

 Equipment kaufen - z.B. Stativ für Aufnahmen

  Sportlicher Ausgleich – Yoga, Laufen, Feldenkrais 

 

 

Ich persönlich bin eher eine Träumerin als ein Goalgetter. Ich habe buchstäblich Hunderte von Ideen. Es fehlt mir aber häufig der Fokus, um meine Ideen in die Realität umzusetzen, weil mich so viele verschiedene Dinge interessieren! Im ersten Lockdown habe ich mir zum Beispiel das Ziel gesetzt, fünf Kilometer ohne Unterbrechung zu laufen. Ich habe einen Plan im Internet gefunden. Statt der vorgeschlagenen acht Wochen habe ich im Enddefekt allerdings acht Monate gebraucht, um mein kleines Ziel dann im November zu erreichen. Es hat mich schließlich auch eigentlich mehr gefreut, dass ich die Willenskraft hatte, ein selbst festgelegtes Ziel zu erreichen, als die Tatsache, dass ich eine gewisse Distanz laufen konnte. In dieser Zeit habe ich viel über das Setzen von Zielen recherchiert und darüber nachgedacht, wie das mit unserem Leben mit Pferden zusammenpasst. Daraus ist dieser Blog entstanden.

 

Ich gehe nun in das Jahr 2021 besser ausgerüstet hinein, meine Pläne umzusetzen. Ich würde mich freuen, von euch zu hören. Erzählt mir, welche Träume ihr habt und wie ihr sie in Ziele umzusetzen möchtet. Wenn genug Interesse da ist, könnten wir eine Facebook-Gruppe daraus machen und uns gegenseitig unterstützen!

 

Einen guten Rutsch wünsche ich Euch.