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Ein Ausritt im North York Moors National Park

Unglaublich, aber wahr! Es ist ungefähr zwanzig Jahre her, dass ich das letzte Mal auf dem Rücken eines Pferdes in England saß.

Nach einer längeren Corona-bedingten Abwesenheit aus meinem Heimatland habe ich im Sommer den Entschluss gefasst, längere Aufenthalte bei meiner Familie dort zu verbringen. Ich wollte mich während dieser Zeiten auch wieder an die englische Reiterszene herantasten. Als Omikron auftauchte, wurden die Reisebedingungen aber dann nochmal erschwert und da meine Reisepläne bis zum Abflug wackelig waren, plante ich diesmal so gut wie nichts im Voraus.

 

Endlich angekommen, wartete ich meine zweitägige Quarantäne ab, sah, dass England mehr oder weniger normal funktionierte und schaute mich nach Reitmöglichkeiten um. Zwischen den Feiertagen ist es mit spontanen Ideen natürlich schwierig. Trotzdem bekam ich, nach einigen Absagen, den Tipp, das Bilsdale Riding Centre zu kontaktieren.

Mein letzter Ausritt in England, über 20 Jahre her, war tatsächlich auch mit den Pferden des Bilsdale Riding Centres gewesen und ich hatte es in Erinnerung als eine kleine Landwirtschaft, wo meine Schwester und ich zwei Pferde mieten und allein ausreiten konnten. Ich war deswegen überrascht, als die Webseite mich zu einem raffinierten Buchungssystem weiterleitete, das mich aufforderte, meine Größe, mein Gewicht und Können einzutragen. Diese Daten wurden ausgewertet, daraufhin wurde ich als fortgeschrittene Reiterin eingestuft und erst dann durfte ich mir einen passenden Termin aussuchen.

Eigentlich finde ich so etwas gar nicht so blöd. Viele ländliche Gegenden in England haben einen schlechten Handyempfang und jeder, der schon einmal in einem Reitstall gearbeitet hat, weiß, dass man es nie rechtzeitig zum Festnetz-Telefon schafft. Ich musste aber doch schmunzeln, als meine Anfrage zuerst nicht bearbeitet werden konnte, weil ich bei der Frage zum reiterlichen Können nur den Galopp angekreuzt hatte, aber nicht Schritt und Trab. Technik hat doch keinen Hausverstand!

 

Bilsdale ist ein wunderschönes Tal im North Yorkshire Moors National Park. Es führt von Hemsley, einer pittoresken Marktgemeinde und beliebtem touristischen Ausflugsziel, gen Norden. Zuerst fährt man an üppigen grünen Wiesen vorbei, bevor man über die Newgate Bank in die Heidelandschaft des Hochmoors gelangt. Für viele Jahre war der bekannte hohe, schmale Bilsdale Sendemast ein ständiger Begleiter meiner vielen Wanderungen in der Gegend. Leider richtete ein Brand letztes Jahr so großen Schaden an, dass die Station gesprengt werden musste.

 

Ich suchte einen zweistündigen Ausritt für Fortgeschrittene am 31. Dezember aus. Man soll das alte Jahr so beenden, wie man das neue erleben möchte, dachte ich mir. Das Wetter war auch trocken angesagt – Achtung, die Ausritte finden bei jeder Witterung statt, außer bei gefährlichen Bedingungen, wie Sturm oder Eis. Wir wurden gebeten, eine Viertelstunde früher da zu sein, ich kam wesentlich früher an, vielleicht würde ich beim Satteln helfen dürfen. Wir, meine Schwester und ich, wurden stürmisch vom Hofhund begrüßt, eigentlich stieg er schon ins Auto ein, sobald ich die Türe öffnete. Sarah, die Besitzerin, war nicht minder freundlich, nur zum Glück höflicher. Die Engländer nehmen die Corona-Vorschriften ernst und daher durften wir die geschlossenen Räume nicht betreten. Das hieß, die Sattelkammer und leider auch die Stallungen.

Ich habe immer ein bisschen ein mulmiges Gefühl, wenn ich Pferde ungesattelt nicht sehen darf. Auch als ich noch mit Schulpferden arbeitete, sattelte ich meistens selbst, um sicherzugehen, dass es korrekt gemacht wurde. Mein mitgebrachter Helm wurde überprüft, ob er die entsprechenden Sicherheitsstandards erfüllte. Meine Schwester, die Verrückte, machte sich währenddessen auf den Weg, einen zweistündigen Geländelauf in der Gegend zu absolvieren.

 

Langsam trudelten wir ein. Es waren insgesamt fünf Reiter, vier „Neulinge“ inklusive ich, und ein Stammgast. Zwei der Neulinge waren junge Mädels, schätzungsweise 12 Jahre alt, komplett ausgerüstet mit Gummistiefeln, Sicherheitswesten und Springgerten. Letztere mussten sie zurücklassen, mit der Begründung, dass die Pferde viel „Go“ hätten und während des Ausrittes nicht angehalten würde, um fallengelassene Gerten aufzuklauben. Die letzte Reiterin war eine junge Dame, die mehrere Jahre Reitunterricht genommen hatte, aber nun seit einigen Jahren pausierte. Dann wurden die Pferde einzeln aus dem Stall geführt und wir durften aufsteigen. Mir wurde eine große, braune, selbstgezogene Stute im Hunter-Typ zugeteilt. Sie hieß Possum (Opossum), aber es darf so viel verraten werden: Sie stellte sich während des Ausrittes alles andere als tot. Sarah bezeichnete sie als „Push Button Horse“, also als ein Pferd, das auf Knopfdruck funktioniert. Ich fand recht schnell heraus, dass vor allem der Beschleunigungs-Schalter recht leicht zu bedienen war!

 

Gurte und Steigbügel kontrolliert, erhielten wir die letzten Anweisungen. Wir sollten den ersten kurzen Abschnitt auf der Straße im Gänsemarsch passieren, danach war die Reihenfolge nicht so wichtig. Und ja, vor dem ersten Galopp sollten wir besonders aufpassen, weil die Pferde meistens etwas enthusiastisch waren. Als sich der bunte Cob der Wiedereinsteigerin beim Wegreiten vordrängte und die Reiterin nicht auf Anhieb in das Leichttraben hineinfand, hatte ich aber schon Zweifel, ob wir so viel galoppieren würden.

Chiara, die Schwiegertochter von Sarah, führte uns auf ihrem großen, braunen Wallach eine schmale Straße entlang. Nach einer hübschen steinernen Brücke bogen wir durch ein enges Tor ab und ritten durch einen Laubwald Richtung Newgate Bank. „Bank“ in den Yorkshire Moors bezeichnet einen Kamm, der den Übergang zur typischen Heide-Moorlandschaft der Hochebene markiert. Eine alternative Route hätte durch die von Schafen kurzgeknabberte Weidelandschaft zu den historischen Ruinen in Riveaulx geführt. Wegen der langanhaltenden Regenperiode wurde diese Idee aber als zu nass und rutschig verworfen. Das war mir nur recht, weil ich die scheinbar endlose Weite der Moors als Gegenpol zu meinen geschätzten Kärntner Bergen liebe. Aber zuerst machten uns die Pferde auf die bevorstehende Galoppstrecke aufmerksam. Die bunte Cob-Stute drängte immer wieder vor, aber verlor bald darauf die Puste, also wurde es eher ein Mischmasch aus Trab und Galopp. Das gefiel Possum eher weniger, und ich dankte meinen früheren Geländetrainings für die Zügelbrücke, die ich einsetzte, um meine Arme zu schonen. Als wir oben an dem Übergang zum Hochmoor ankamen, wollte Chiara wieder einen Galopp-Versuch starten. Leider verpasste diesmal eines der Kleinpferde den Anschluss, weil es seinen Kopf tief ins Gras gesteckt hatte. Als es das mitbekam, hüpfte es los und verlor dabei seine junge Reiterin. Glücklicherweise landete sie geschickt auf ihren Füßen, aber wir beschlossen, doch fortan im Trab zu bleiben.

 

Wir ritten zwischen grauem, ruhendem Heidekraut alte Karwege entlang. Wie fantastisch muss es hier im August sein, wenn die Erika tief purpurn blüht! Zwischendurch mussten Chiara und ich auf unseren Jagdpferden auf die kurzbeinigen Cobs warten, deren anfänglicher Energie-Überschuss aufgebraucht war. Währenddessen hob Possum ihren Kopf und starrte in die Ferne. Sie schien den grandiosen Ausblick von Hawnby Hill genauso sehr zu genießen wie ich. Ich konnte während der Schrittphasen neben Chiara reiten und sie erzählte mir, dass sie ursprünglich aus Durham kam, mit der berühmten Zetland Hunt geritten war und sich jetzt fürs Distanzreiten interessierte. Sie zeigte auf den Hof im Tal, auf dem sie wohnte, wo die Zuchtstuten und jungen Pferde gehalten wurden. Ich fragte sie, wie der Betrieb den letzten langen Lockdown überleben konnte. (In England dauerte es über drei Monate, bis die ersten Lockerungen stattfanden.) Sie meinte, dass zum Glück die Sommerferien mit Kindercamps und Tagesausritten ausgebucht waren und das einiges wettgemacht hatte.

 

Viel zu früh war es Zeit, die Moors zu verlassen, aber der Abschied wurde uns durch einen entspannten Galopp versüßt – der widerspenstige Cob war durch die Bewegung folgsam geworden! Eine kleine Schrecksekunde gab es noch, als es so aussah, als ob unser Retourweg durch eine Jagdgesellschaft blockiert wäre. Ein paar kurze Handytelefonate und die Situation war geklärt. Ohne Angst um unser Leben haben zu müssen, schlenderten wir den Waldweg wieder hinunter und zurück zum Hof. Ich durfte Possum absatteln, Karotten füttern und ihr natürlich ein paar TTouches® schenken. Ich bekam zum Abschluss (weil es Silvester und daher ein besonderer Anlass war) ein grünes Mascherl und Süßigkeiten, die ich für meine Neffen mit nach Hause nahm.

 

Zusammenfassend? Chiara ist großartig. Ich habe früher auch solche Ausritte mit fremden Reitern geführt und weiß, welche Nerven man dazu braucht und Chiara ging mit den paar kleinen Hopplas souverän um. Possum war auch großartig, fleißig und bequem zu sitzen. Die Pferde machten einen gepflegten Eindruck und genossen ihren Job. Die Landschaft - atemberaubend. Ich plane jetzt schon einen Tagesritt im Sommer. Falls es dich je in die Gegend verschlägt, die Webseite ist www.bilsdaleridingcentre.co.uk und sie haben auch eine aktive Facebook-Seite mit vielen Bildern und Videos, die Lust auf mehr machen.