· 

Ein bisschen Linda-Magie

 

Letztes Wochenende hatte ich die Gelegenheit, meine italienischen Kollegen für einen Tag zu besuchen. Linda Tellington-Jones hielt einen dreitägigen Kurs auf der wunderschönen Anlage von Massimo da Re und Silvia Torresani und ich habe mich als Zuschauerin angemeldet. Linda ist mittlerweile sechsundachtzig. Als sie jedoch in der Früh aus dem Auto stieg und mit ihren Walking Stöcken entschlossen Richtung Stall schritt, kam ich ihr schwer nach. Ihr Ziel war ein junger, großer Schimmel. Ich fand nachher heraus, dass er einen richtig schlechten Start beim Anreiten hatte und mehrere erfahrene Bereiter runterbuckelte, bis er dann nach Bellavista kam. Er wollte auch nicht am Rumpf oder an der Hinterhand angefasst werden. (Ganz nebenbei: Es ist mir immer wieder ein Rätsel, warum Leute auf Pferde steigen, die sich nicht einmal entspannt berühren lassen.)

 

Linda erinnerte die Zuschauer daran, dass ein Trauma auch vom Körper gelöst werden muss. Sie berührte das Pferd mit leichten Fingern, manchmal nutzte sie den Tarantel-TTouch, manchmal den Lecken der Kuhzunge oder Troika-TTouch. So tastete sie sich am Rumpf des Pferdes immer weiter nach hinten. Jedes Mal, wenn das Pferd Anzeichen von Unwohlsein machte (z.B. wenn es am Seil knabberte oder den Kopf schnell zu ihr drehte), ging sie zurück zu einer Stelle, wo es sich bei der Berührung wohlfühlte. Damit vermittelte sie dem Wallach, dass sie seine Sorgen gesehen hatte. Er fing an ihr zu vertrauen. Als ich vor der Box stand und sah, wie sich der Wallach unter ihren Händen allmählich entspannte, spürte ich selbst einen großen Frieden.

 

Es tut so gut, mit ähnlich gesinnten Menschen und Kollegen zusammen zu sein und zuzuschauen, wie diese weise, kleine Frau mit unglaublich feinen und ruhigen Berührungen und Gesten mit Pferden kommuniziert. Sie ist ganz einfach eine Inspiration. Und deswegen nutze ich jede Gelegenheit, um ein bisschen dieser Linda-Magie zu erleben.

  

 

„50% of this work is reading the horse!”, Linda Tellington-Jones

 

Lindas Kurse drehen sich immer um die Pferde. Egal, wie sie eine Einheit ursprünglich geplant hat, wann immer sie sieht, dass ein Pferd zusätzliche Hilfe benötigt, nimmt sie sich die Zeit, um das Thema zu lösen. Und meistens nimmt sie das Pferd dabei noch immer selbst in die Hand.

 

Am Tag meines Besuches gab es noch ein Beispiel dafür. Eine Warmblut Stute hatte Schwierigkeiten beim Verladen. Mit Hilfe der Tellington Lernparcours-Hindernisse sollte sie während der drei Tage in kleinen Schritten an die Bewältigung dieses Themas herangeführt werden. Linda merkte dabei, dass die Stute nicht ausbalanciert war, im Schritt auf die Vorhand fiel und deswegen schwer anhalten konnte. Sofort legte Linda ihre Walking Stöcke weg, um das Pferd selbst zu führen. Sie nutzte die Führposition Dingo und einen Balance-Zügel, um die Haltung der Stute zu verbessern.

 

Wenn das Beutetier Pferd nicht im Gleichgewicht ist, fühlt es sich unsicher. Ein Pferd in Balance kann sich besser mit ungewohnten Aufgaben auseinandersetzen, weil es sich jederzeit schnell an die Situation anpassen kann. Es entwickelt dadurch mehr Mut.

 

Erst danach fing das eigentliche Training an. Um den engen Raum eines Anhängers zu simulieren, wurde die Stute zuerst über eine hölzerne Brücke geführt, dann zwischen Stangen und unter Poolnudeln durch. Zum Schluss wurde alles kombiniert. Wenn das Pferd zögerte, wurde die Aufgabe leichter gemacht, indem z.B. der Abstand zwischen den Stangen erweitert wurde. Manchmal waren die Zeichen der Unsicherheit nur sehr unscheinbar. Dazu sagte Linda: „50% of this work is reading the horse!” – 50% der Arbeit ist es, das Pferd zu „lesen“, also die Zeichen zu verstehen.

 

 

Wie oft setzen sich Menschen beim Verladetrainig mit so elementaren Faktoren wie dem Gleichgewicht auseinander? Wir arbeiten leider meistens nur aufgabenorientiert. Beim Tellington Training geht es aber um das Wie und nicht nur um das Was. Es reicht nicht, dass ein Pferd unter einer Plane stehen kann; es ist wichtig, dass das Pferd dabei entspannt und aufmerksam bleibt. Schau dir das Foto von der Stute an, sie steht ausbalanciert auf der Brücke, umgeben von liebevollen Menschen und kaut genüsslich auf einem Happen Heu herum. I like it!