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Sich selbst zu spüren kann anstrengend sein

Ich unterrichtete eine neue Schülerin. Die junge Frau schien sportlich und gut trainiert zu sein. Ihr Pferd war brav und gut ausgebildet. Das Thema war der mitgehende Sitz und wir beschäftigten uns viel mit der Frage, was unsere Sitzbeinhöcker machen, wenn wir im Schritt reiten. Wie üblich bat ich am Ende der Stunde um etwas Feedback. „Es war voll anstrengend!“, sagte sie ausdrucksvoll. Ich war ein bisschen erschrocken. Sicher war es ein heißer Sommertag, ich hatte jedoch den Eindruck, dass die Stunde sehr harmonisch verlaufen war. „Aber super!“, ergänzte sie und ich atmete auf. Ich fragte genauer nach und bekam die folgende Ergänzung: Die Aufmerksamkeit auf ihren eigenen Körper zu richten, war für sie so ungewöhnlich, dass es ermüdend war. Gleichzeitig fühlte es sich belebend an.

 

Eigentlich hätte ich nicht so überrascht sein sollen, so etwas passiert mir immer wieder. Der konventionelle Unterricht beschäftigt sich mehr damit, was das Pferd machen soll und weniger mit der Wahrnehmung der Reiter. Dabei ist das Gespür bzw. Gefühl eine der magischen Zutaten, die man braucht, um ein vollendeter Reiter oder eine vollendete Reiterin zu werden. Und das Fühlen kann auch bis zu einem gewissen Grad gelernt werden. Anscheinend findet sich in normalen Reitstunden jedoch wenig Zeit dafür. Aus diesem Grund ist ganz klar, dass eine Unterrichtseinheit, die aufs Spüren ausgelegt ist, zumindest geistig anstrengend ist; wenn ich mit Franklin Bällen oder Tellington Körperbändern arbeite, muss ich ebenso darauf aufpassen, dass ich das Nervensystem des Reiters nicht überflute.

 

Immer wieder bin ich auch erstaunt darüber, wie begeistert meine Schülerinnen und Schüler von unseren gemeinsamen Stunden sind. Deshalb habe ich mir einige Gedanken darüber gemacht, was das Besondere daran ist.

 

Sich zu spüren ist im Alltag nicht mehr gefragt. Wir arbeiten in der Regel mehr mit unseren Köpfen als mit unseren Körpern. Stress verursacht zwar körperliche Symptome, wie Nackenschmerzen, viele wollen jedoch nicht auf ihren Körper hören, weil es die Produktivität verringert. „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“, heißt es ja. Gefühle haben ihren Namen aber nicht von ungefähr – im Wort steckt schon drinnen, dass wir sie im Körper fühlen. Bei Liebe spürt man zum Beispiel Schmetterlinge im Bauch, bei Angst eine Enge in der Brust, bei Trauer einen Kloss im Hals. Zumindest diese negativen Empfindungen wollen wir normalerweise schnell wieder loswerden und unterdrücken sie deshalb. Wir schalten unsere Körperwahrnehmung also weg. Wenn wir uns selbst nicht fühlen, wie sollen wir uns dann aber in einen anderen Menschen oder in ein Tier hineinfühlen können?

 

Körper und Geist sind keine zwei getrennten Einheiten. Selbst die Medizin ist sich darüber einig. Ich glaube, wenn wir wenig Körpergefühl haben, fühlen wir uns immer ein wenig unvollständig. Wenn wir aber als Reiter anfangen, unseren Körper wieder wahrzunehmen, fühlen wir uns gleich ein bisschen vollkommener und lebendiger - was uns wiederum Freude bereitet.