Heutzutage scheint die Zahl der Ausbildungsangebote und der damit verbundenen Qualifikationen in der Pferdebranche praktisch zu explodieren. Ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. Grundsätzlich begrüße ich alles, was mit Weiterbildung zu tun hat, allein schon aus Gründen des Tierschutzes. Die Pferdebranche ist nicht sehr reglementiert, was die Berufsausübung betrifft. Jeder kann sich Reitlehrer nennen, ob er eine Qualifikation hat oder nicht. Früher war der Besitz einer Qualifikation deshalb oft (aber nicht immer) eine Garantie für eine gewisse Qualität des Unterrichts.
Ich frage mich, ob die heute bestehende Fülle an Ausbildungen den Besitz einer Qualifikation mehr oder weniger wert macht. Wird es in Zukunft so etwas wie eine Mode in Bezug auf Qualifikationen geben? Und müssen denn überhaupt alle Weiterbildungen zu einer Qualifikation führen? Vor allem frage ich mich, wie PferdebesitzerInnen in Zukunft entscheiden sollen, welche TrainerInnen sie engagieren. In den nächsten Zeilen möchte ich meine Gedanken dazu etwas ausführlicher darlegen.
Ich habe vor kurzem einen vierten Blogbeitrag über meine eigenen Qualifikationen veröffentlicht. Kurze Zeit später, als ich Facebook durchstöberte, stieß ich auf viele Angebote, an einem Ausbildungskurs teilzunehmen, um für dieses oder jenes ein Trainer, Coach, Ausbildner oder sonst etwas zu werden. Ich weiß, dass hinter diesen Angeboten Pferdeleute mit sehr fundierten Kenntnissen stecken, da sogar einige geschätzte Kolleginnen unter ihnen waren. Aber die Vielzahl dieser Angebote hat mich dann doch sehr zum Nachdenken gebracht.
Als ich vor vielen, vielen Jahren im Vereinigten Königreich begann, mit Pferden zu arbeiten, gab es für Freizeitreiter Pony Club- und Riding Club-Tests, um sich weiterzubilden und dieses Wissen dann auch unter Beweis zu stellen. Für berufliche Qualifikationen war mit wenigen Ausnahmen die British Horse Society zuständig. Das ist der nationale Verband, wie hier in Österreich OEPS oder in Deutschland FN. Der traditionelle Ausbildungsweg, um eine Qualifikation zu erlangen, war die Ausbildung als „Working Pupil“ in einem Betrieb. Dabei handelte es sich im Grunde um eine unbezahlte Ausbildung, bei der man einen ganzen Tag lang arbeitete und aushalf, z. B. beim Ausmisten, Pferdepflegen und später beim Unterrichten, um dann selbst eine oder zwei Stunden Unterricht pro Tag zu bekommen. Ende der 90er Jahre führte das Vereinigte Königreich den Mindestlohn ein, was das System veränderte.
Schon vorher hatten einige landwirtschaftliche Schulen begonnen, Ausbildungen vom Facharbeiter bis zum Masterstudium anzubieten. Am Anfang begegnete die Pferdeindustrie diesen Kursen mit viel Skepsis. Sie würden zu wenig Praxis beinhalten, meinten die Betriebe, um die Absolventen berufsfähig zu machen.
Ich selbst habe beide Wege eingeschlagen. Bevor ich mein Studium der Pferdewissenschaften am Warwickshire College of Agriculture begann, absolvierte ich ein Pflichtpraktikumsjahr als „Working Pupil“, um die ersten Schritte zum Assistant Instructor der British Horse Society zu machen. Später, während eines weiteren Pflichtpraktikums, verbrachte ich weitere Monate als Working Pupil, um die volle Qualifikation zu erlangen. Ich habe aber auch einige - meiner Meinung nach - wichtige und wertvolle Qualifikationen erworben, die nicht diesem von den nationalen Verbänden festgelegten Schema entsprechen, zum Beispiel den Centered Riding® Ausbildner und Tellington TTouch® Practitioner. Gerade solche Ausbildungen werden zunehmend von unabhängigen Interessensverbänden, aber auch von Einzelpersonen angeboten.
Die Vorteile für die Anbieter liegen auf der Hand. Sie haben zwar eine Menge Vorbereitungsarbeit zu leisten, aber wenn es ihnen gelingt, Leute für ihre Kurse zu gewinnen, profitieren sie von einem garantierten Einkommen und einer Kundenbindung für eine gewisse Zeit. Aber was sind die Vor- und Nachteile für die Teilnehmer und deren zukünftige Kunden?
Folgende Aspekte finde ich sehr positiv:
* Sich mehr Wissen anzueignen ist immer wertvoll und nur fair gegenüber unseren Pferden.
* Ich finde es großartig, wenn Menschen bereit sind, sich länger mit einem Thema zu beschäftigen. In einer Zeit, in der die Aufmerksamkeitsspanne des Durchschnittsmenschen dank Instagram und Tiktok angeblich nur noch 4 Sekunden beträgt, ist dieses Engagement über einen längeren Zeitraum lobenswert.
* Dank des Internets war es noch nie so einfach, an Informationen zu gelangen. Ob man diese Informationen aber auch richtig versteht und anwendet, ist eine andere Frage. Niemand kontrolliert autodidaktisches Lernen. Im Rahmen einer Ausbildung wird man angeleitet und korrigiert. Das erhöht die Qualität der Arbeit.
Die Vielfalt der Angebote wirft jedoch eine Reihe von Fragen auf, mit denen man sich auseinandersetzen sollte, bevor man sich für eine Ausbildung entscheidet oder sich als Schüler an einen Trainer wendet.
Wer bietet die Kurse an?
Sind es Einzelpersonen, die sich etwas Neues ausgedacht haben? Oder bieten sie bereits vorhandene Techniken und Wissen mit ihrem persönlichen Twist an? Ich finde es nicht unbedingt negativ, wenn etwas von einer Einzelperson angeboten wird. Sally Swift von Centered Riding und Linda Tellington-Jones haben das schon vor Jahrzehnten vorgemacht. Mittlerweile haben sich ihre Methoden als so wertvoll und erfolgreich erwiesen, dass es Hunderte von Instruktoren gibt. Viele von ihnen haben die Qualifikation, Ausbildungskurse nach einem bestimmten Protokoll abzuhalten, um zu gewährleisten, dass es eine Kontinuität darin gibt, wie und welches Wissen vermittelt wird.
Wie viel Praxis umfasst die Ausbildung?
Wie groß ist der Kursanteil, der online stattfindet oder aus reiner Theorie besteht? Wie oft wird kontrolliert, wie man wirklich mit Pferd und Reiter arbeitet? Müssen die Teilnehmer Fallbeispiele erarbeiten oder Übungsunterricht erteilen?
Wie wird entschieden, ob man die Qualifikation bekommt?
Reicht die Anwesenheit allein oder gibt es eine Prüfung? Wer nimmt die Prüfung ab? Gibt es zum Beispiel externe Prüfer oder hängt die Qualifikation von der Meinung einer Einzelperson ab?
Was passiert nach der eigentlichen Ausbildung?
Gibt es eine Qualitätskontrolle in Form einer Fortbildungsverpflichtung oder
Supervision? Die Ausbildung im Centered Riding ist zum Beispiel sehr kurz, sie dauert insgesamt nur sieben Tage. Man muss aber alle zwei Jahre eine Fortbildung machen und wird beim Unterrichten
überprüft. Viele machen die Ausbildung, aber die wenigstens haben das Durchhaltevermögen und bleiben dann auch dabei.
Da ich selbst die Erfahrung gemacht habe, dass ich manche Inhalte einer Ausbildung erst Jahre später tiefer verstanden habe, wäre es für mich persönlich bei der Auswahl eines neuen Trainers
außerdem wichtig zu wissen, wie lange er oder sie sich bereits mit einem Thema beschäftigt hat.
Kann man mit der Ausbildung tatsächlich arbeiten?
Hier in Österreich gibt es den berühmten Fall einer Physiotherapieausbildung, deren Absolventen plötzlich per Gesetz nicht mehr mit Pferden arbeiten durften, weil es nur Tierärzten erlaubt ist, therapeutisch mit Tieren zu arbeiten.
Gibt es denn überhaupt einen Bedarf für den neuen Dienstleister?
Die vorher genannte Ausbildung wurde umbenannt und wird weiterhin fleißig angeboten. Ich weiß aber aus Gesprächen mit einigen Absolventen, dass sie kaum Arbeit finden, weil das Angebot nicht der Nachfrage entspricht.
Wie soll ein Pferdebesitzer bei dem großen und vielfältigen Angebot an Ausbildungen entscheiden, welche Trainerin für ihn in Frage kommt?
Diese Frage beschäftigt mich am allermeisten - schließlich machen sich die wenigsten PferdebesitzerInnen die Mühe, die Informationsblätter der einzelnen Ausbildungen beim Anbieter anzufragen und zu lesen. Wenn also der Besitz einer Qualifikation nicht das Entscheidungskriterium für eine Trainerin ist, weil man sowieso nicht weiß, worum es geht, was ist es dann? Oder wird es Trends in der Ausbildung geben? Wird der Wert einer Qualifikation von der Social-Media-Präsenz des Anbieters abhängen? Müssen alle, die beruflich mit Pferden zu tun haben, ständig neue Qualifikationen erwerben, um wettbewerbsfähig zu bleiben? (Weiterbildung ist immens wichtig - aber muss sie immer mit einer Qualifikation enden?)
Mein Fazit ist, dass ich positive und negative Aspekte dieses neuen Ausbildungsbooms sehe. In der heutigen Zeit ist das biologische und psychologische Wissen über Pferde exponentiell angestiegen. Die traditionellen Ausbildungen berücksichtigen neue Erkenntnisse nur bedingt in ihren Lehrplänen. Die „neuen“ Ausbildungen reagieren auf diesen Bedarf. Die Transparenz und der Bekanntheitsgrad der verschiedenen Ausbildungen werden sicherlich wichtige Kriterien für ihren Erfolg sein. Ich persönlich mache aber immer wieder die Erfahrung, dass einige Pferdeleute in meiner Ecke der Welt noch nie von zwei meiner Ausbildungen gehört haben, obwohl beide weit über 30 Jahre alt und weltweit verbreitet sind. Wie wird das in Zukunft in unserer schnelllebigen Welt sein, wenn es immer neue Qualifikationen gibt?
Mich würde euer Feedback zum Thema interessieren! Wie triffst du eine Entscheidung für einen Trainer oder eine Trainerin?
a) Mundpropaganda
b) Empfehlungen aus dem Internet
c) Qualifikationen
d) Erfahrung
e) Social-Media-Präsenz
f) Turniererfolg
g) Ich wohne sehr entlegen und/oder habe keine Transportmöglichkeit. Ich bin froh, wenn überhaupt jemand zu mir kommt.