Außerhalb des Lernquadranten – Pferde lernen auf unterschiedliche Weise

Wenn du häufiger im Internet unterwegs bist, bist du sicher schon auf die Begriffe R+ oder R-Training gestoßen. In den sozialen Medien herrscht ein kleiner Kalter Krieg zwischen den Befürwortern der beiden Trainingsansätze. Aber wo genau kommen diese Begriffe her, was bedeuten sie und beschränkt sich Pferdtraining wirklich nur darauf?

 

Die Begriffe stammen aus der Lerntheorie; einfach ausgedrückt geht es darum, wie Pferde lernen. Der Fokus dieses Artikels liegt weniger auf detaillierten Erklärungen, sondern mehr auf meinen Gedanken und Erfahrungen damit. Für das bessere Verständnis möchte ich trotzdem zuerst einen Überblick geben:

 

R+ und R- sind zwei Viertel des Lernquadranten (siehe Titelbild für eine visuelle Darstellung) aus dem Behaviorismus. Hier wird von operanter Konditionierung gesprochen. Es wird davon ausgegangen, dass Lernen stattfindet, wenn ein bestimmtes Verhalten eine bestimmte Konsequenz nach sich zieht. Diese Konsequenz kann darin bestehen, dass etwas hinzugefügt wird (also positiv, wie in R+) oder dass etwas weggenommen wird (also negativ, wie in R-). Weiterhin können die Konsequenzen als „Verstärkung“ (Reinforcement, R) oder „Bestrafung“ (Punishment, P) bezeichnet werden.

 

Daraus ergeben sich vier Kategorien der operanten Konditionierung:

 

R+ (positive Verstärkung): Etwas Angenehmes wird hinzugefügt (z.B. Futter), um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass ein erwünschtes Verhalten (zum Beispiel Rückwärtstreten) wiederholt wird.

 

R- (negative Verstärkung): Etwas Unangenehmes (das nennt man aversiv) wird weggenommen (zum Beispiel ein schwingendes Seil), um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass ein gewünschtes Verhalten (zum Beispiel Rückwärtstreten) wiederholt wird.

 

P+ (positive Bestrafung): Etwas Unangenehmes (z.B. Klapps mit der Gerte) wird hinzugefügt, um die Wahrscheinlichkeit eines unerwünschten Verhaltens (z.B. Verweigern vor einem Hindernis) zu verringern.

 

R- (negative Bestrafung): Etwas Angenehmes (z.B. Wasser) wird weggenommen, um die Wahrscheinlichkeit eines unerwünschten Verhaltens (z.B. sich nicht fangen lassen) zu verringern.

 

 

Pferde lernen aber auch auf andere Weisen, die nichts mit den Vierteln des Lernquadranten zu tun haben - daher der Titel dieses Blogs.

 

Ein Beispiel ist die klassische Konditionierung. Du hast wahrscheinlich schon in der Schule von Pawlow und seinen speichelnden Hunden gelesen. Zur Erinnerung: Jedes Mal, wenn Pavlov eine Glocke läutete, bekamen die Hunde Futter. Nach einiger Zeit begannen die Hunde, Speichel zu produzieren, wenn sie die Glocke nur hörten, da sie die Glocke mit Futter assoziierten. Diese Art des Lernens nutzen wir, wenn wir ein Pferd anreiten, das bereits Stimmkommandos an der Longe gelernt hat: Eine Remonte hat zunächst keine Ahnung, was eine Schenkelhilfe bedeutet, lernt dann aber, dass die Schenkelhilfe immer zusammen mit dem Stimmkommando „Schritt” erfolgt, sie also antreten soll.

 

Übrigens hört man immer wieder das Argument, dass Schenkelhilfen ein Beispiel für negative Verstärkung seien. Ich persönlich sehe das nicht so, denn dazu müsste man die Schenkel so lange anlegen, bis das Pferd vorwärtsgeht. Wer so etwas praktiziert, hat meiner Meinung nach die reiterliche Hilfe überhaupt nicht verstanden, die eigentlich immer aus kurzen Impulsen bestehen sollte, deren Effektivität wiederum sehr viel mit Timing zu tun hat.

 

Pferde lernen auch durch Nachahmung. Als Säugetier und Herdentier beginnt diese Art des Lernens bereits am ersten Tag. Wenn ein Fohlen in einer Herde aufwächst, lernt es beispielsweise, wo sich die Wasserquellen befinden oder wie es im Schnee gräbt, um Gras zu finden. Diese Art des Lernens nutzen wir, wenn ein junges Pferd einem erfahrenen Pferd folgt, wenn es zum ersten Mal einen Bach überquert oder seine ersten Sprünge unter dem Sattel absolviert. Hier sehe ich ein Problem der heutigen Zeit. Viele Jungpferdebesitzer sind Einzelkämpfer. Entweder haben sie ihr Pferd zu Hause oder es gibt in dem Stall, in dem ihr Pferd eingestellt ist, niemanden, der auf die gleiche Art trainieren möchte. Oft fehlt einfach ein erfahrenes Pferd, das den jungen Pferden in unsicheren Situationen Halt geben kann. Man kann noch so viel daran arbeiten, dass das Pferd dem Menschen vertraut, aber kein Mensch kann ein anderes Pferd komplett ersetzen.

 

Dann gibt es noch das Problemlösen. Das ist eine Fähigkeit, von der die Wissenschaft langsam entdeckt, dass auch Pferde sie besitzen. Wer je mit einem Pferd zu tun hatte, das wiederholt Tore öffnen oder Knoten lösen konnte, hat das schon lange erkannt. Ich bin überzeugt, dass wir diese Fähigkeit viel öfter in der Pferdeausbildung nutzen könnten. Dazu müssen wir als Trainer darauf achten, dass die Schritte kleinstufig und nachvollziehbar sind. Und vor allem müssen wir den Pferden Zeit geben, um die Zusammenhänge zu erkennen. Wir Menschen erwarten viel zu schnell eine Reaktion von einem Pferd. Meiner Erfahrung nach sind Pferde bei Stress und Spiel sehr schnelle Tiere, aber sie „denken“ langsam. Ich erlebe dieses Phänomen häufig in der Pferdeausbildung, zum Beispiel, wenn ich ein Pferd ein neues Hindernis bewältigen lassen möchte, indem ich es unter Poolnudeln führe. Nachdem ich ein Stimmkommando und ein Leinensignal gegeben habe, kann es bis zu einer Minute dauern, bis das Pferd sich organisiert hat und antritt – ohne dass ich irgendeine Hilfe wiederholt hätte! Ich habe nur gewartet. Nebenbei bemerkt: Wenn es viel länger dauert, muss ich die Aufgabe wahrscheinlich leichter machen.

 

Gute PferdetrainerInnen verstehen, dass Pferde auf unterschiedliche Art und Weise lernen, und können mehrere Techniken nutzen oder kombinieren, um das individuelle Pferd (und seinen Besitzer/seine Besitzerin) optimal zu unterstützen. Zum Beispiel kann die zuvor angesprochene Verknüpfung von Schenkel- und Stimmhilfe noch verstärkt werden, indem das Pferd nach dem Antreten mit Futter oder Kraulen belohnt wird.

 

Das war ein nicht vollständiger Überblick über die wissenschaftlich erforschten Methoden, wie Pferde lernen. Es gibt auch noch andere. Persönlich macht es für mich einen Unterschied, ob etwas von der Wissenschaft widerlegt wurde (z.B. die Dominanzhierarchie bei Pferden in natürlichen Lebensräumen) oder ob das Thema noch nicht oder unzureichend erforscht wurde. Seit ich das Buch „Moleküle der Gefühle“ der berühmten Forscherin Candace Pert gelesen habe, ist mir übrigens bewusst geworden, wie sehr die Themen, die erforscht werden, davon abhängen, ob man sich in Zukunft Geld und/oder Ruhm dafür erwartet. Dass derzeit so viele kleine Studien über das Verhalten von Pferden veröffentlicht werden, könnte damit zusammenhängen, dass immer mehr Universitäten Abschlüsse in Pferdewissenschaften anbieten.

 

An dieser Stelle möchte ich aber unbedingt noch auf eine Form des Lernens hinweisen, zu der es noch nicht so viele Forschungsergebnisse gibt: das somatische Lernen.

 

Der Begriff Somatik stammt aus dem Griechischen und bedeutet „den Körper betreffend“. Daher können wir diese Art des Lernens als „verkörpertes Lernen“ bezeichnen. Es bezieht sich auf das Lernen, das durch körperliche Erfahrungen, wie Bewegung, Berührung und Wahrnehmung, stattfindet. Babys lernen beispielsweise das Krabbeln, indem sie verschiedene Bewegungen ausprobieren. Die Feldenkrais-Methode für Menschen wurde aus dieser Idee entwickelt. Als Feldenkrais-Lehrerin integrierte Linda Tellington-Jones diese Ansätze in ihre Tellington Equine Awareness Method, die sich zu Tellington TTouch® Training weiterentwickelt hat. Mittlerweile gibt es auch andere TrainerInnen, die somatisches Lernen in ihre Programme aufgenommen haben.

 

Beim Thema Ausbildungsmethoden können Menschen sehr emotional werden. Daher hoffe ich, dass dieser Artikel dir einen mehr oder weniger neutralen Einblick in die verschiedenen Arten des Pferdelernens gegeben hat und dir in Zukunft dabei hilft, gute Entscheidungen darüber zu treffen, welchen Trainer du für dein Pferd möchtest.