„Showing up“: Eine pferdefreundliche Strategie, mit der wir unsere Ziele trotz widriger (Wetter-)Bedingungen verfolgen können

Es ist heiß in Kärnten. Wirklich heiß. So wie in vielen anderen Teilen Europas. Und das tagelang. Das bringt das tägliche Training mit unseren Pferden ziemlich durcheinander. Wenn wir bestimmte Ziele verfolgen und diese in der geplanten Zeit nicht erreichen, kann das zu Frust und Enttäuschung führen. In diesem Blog möchte ich euch eine kleine Anpassung eurer Denkweise vorstellen. Dadurch werden die Hindernisse auf dem Weg zu euren Zielen kleiner und ihr werdet die Reise vielleicht sogar mehr genießen!

 

In den Resilienz-Reiten-Workshops von Sigrid Bock und mir helfen wir den Kursteilnehmern, sogenannte SMART-Ziele zu setzen, damit sie aktiv auf eine positive Zukunft hinarbeiten können. Die Buchstaben des Akronyms SMART stehen auf Deutsch für spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert. SMART-Ziele gelten allgemein als leichter erreichbar, da sie klar definiert sind und einen Fahrplan für Fortschritte bieten.

 

Ein Beispiel für ein Ziel, das während der Workshops formuliert wurde, ist: „Mein Ziel ist es, in sechs Monaten die Waldrunde mit meinem Pferd allein auszureiten.“

 

Das Ziel ist spezifisch: „Waldrunde ausreiten“. Es ist messbar, denn „allein“ ist ein klar definierter Zustand. Es ist attraktiv, weil man dann flexibler ist, da man nicht warten muss, bis die Stallkolleginnen Zeit haben, mit einem auszureiten. Es ist realistisch, da sowohl das Pferd als auch der Reiter die entsprechenden körperlichen Voraussetzungen und den entsprechenden Ausbildungsstand besitzen. Es ist terminiert – ein Zeitraum von sechs Monaten ist festgelegt.

 

Und hier gibt es meiner Meinung nach Probleme mit der SMART-Formel im Zusammenhang mit Pferden. Denn tatsächlich sind wir nicht allein in diesem Streben nach einem Ziel. Es gibt da ja noch unseren Partner, das Pferd, das genauso Gefühle hat und gute und schlechte Erfahrungen mitbringt wie wir. Anders als bei einem Managementteam in einem Unternehmen, das an einem gemeinsamen Ziel arbeitet, hat das Pferd außerdem gar keine Ahnung, dass das Ziel überhaupt existiert. Was also, wenn das Pferd trotz sorgfältigen Trainings nach sechs Monaten immer noch zu viel Angst hat, um die lange Waldrunde ohne Begleitpferd auszureiten?

 

Menschen gehen unterschiedlich damit um, wenn sie ein Ziel nicht erreichen. Manche wenden mehr Druck an – körperlich oder psychisch –, um doch noch rechtzeitig beim Ziel anzukommen. Schließlich finden Meisterschaften an bestimmten Terminen statt. Dabei ist leider die Gefahr groß, dass unschöne Bilder entstehen, wie wir sie momentan im großen Sport sehen. Aber bleiben wir bei unserem Beispiel mit dem Ausreiten: Durch Druck könnte das Pferd das Vertrauen in den Reiter verlieren. Aber nicht nur das! Wenn der Reiter einen übergeordneten Wert von Fairness gegenüber dem Pferd hat und gegen diesen verstößt, indem er Druck ausübt, um das Pferd zum Ausritt zu zwingen, wird er auch sehr unglücklich mit sich selbst sein.

 

Manche verschieben ihre Pläne einfach nach hinten. Aber ohne klar definierten neuen Termin ist die Chance groß, dass das ursprüngliche Ziel mit der Zeit an Attraktivität verliert, andere Dinge wichtiger werden und neue Herausforderungen dazukommen. Das Ziel wird schlussendlich nie erreicht.

 

Manche geben auf. Und auch das ist in Ordnung. Dazu muss man eine gute Portion Akzeptanz aufbringen, was gar nicht so einfach ist. Aber wenn dabei ein Gefühl der Enttäuschung oder gar Trauer zurückbleibt, dann ist man vielleicht (noch) nicht bereit, seine Träume aufzugeben.

 

Deswegen wende ich lieber den Ansatz „Showing up“ an, anstatt meine Ziele zu starr zu terminieren. Aber was heißt „Showing up“?

„Showing up“ ist ein englischer Begriff. Wortwörtlich bedeutet er „erscheinen, auftauchen oder anwesend sein“. Ursprünglich bezieht sich das auf die physische Ebene. „I showed up every Monday to my aerobics class.“ bedeutet „Ich war jeden Montag beim Aerobic anwesend.“ Also musste ich jeden Montag meinen Hintern vom Sofa hochbringen und mit dem Auto in die Stadt fahren, um etwas für meine Gesundheit zu tun.

 

Heutzutage wird der Begriff oft in einem weiteren Sinne verwendet, um zu zeigen, dass man sich bemüht oder engagiert und bereit ist, Arbeit in ein Ziel oder eine Person, einschließlich sich selbst, zu investieren. Und das auch, wenn die Bedingungen nicht ideal sind. Das kann bedeuten, dass ich, selbst wenn ich nach einem anstrengenden Arbeitstag richtig müde bin, meine Yogamatte ausrolle und zwei Asanas mache. Denn alles ist besser als nichts. Die zwei Asanas fördern meine Beweglichkeit nicht so sehr wie eine halbe Stunde Yoga, aber ich habe mein Teilziel, die Schiefe meines Körpers zu korrigieren, nicht aus den Augen verloren. Es ist sonst allzu leicht zu sagen: „Ach, morgen mache ich dafür doppelt so viel.” – Und dann kommt man wieder sehr müde nach Hause und macht wieder nichts, und so sind die guten Vorsätze wieder verschwunden. Ich gebe zu, es ist nicht ausgeschlossen, dass ich beim Yoga auf meiner Matte liege und gleich einschlafe. Deswegen fange ich jetzt im Stehen an. Manchmal komme ich dann doch noch in Schwung und aus den zwei kurzen Asanas werden zehn wertvolle Minuten.

 

Bei den Zielen, die unsere Pferde umfassen, ist unpassendes Wetter oft ein großes Hindernis für unseren Fortschritt. Es regnet, der Boden ist gefroren oder es hat, wie jetzt, tagelang über 30 Grad. Natürlich ist es von Vorteil, wenn man eine gewisse zeitliche Flexibilität hat und zum Beispiel bei Hitze gleich in der Früh arbeiten kann. Aber viele von uns haben berufliche und familiäre Verpflichtungen. Verpflichtungen, die uns diese Flexibilität nicht erlauben. Wenn wir also zeitlich nicht flexibel sein können, können wir vielleicht kreativ sein in unserem täglichen Tun, um unsere Ziele zu realisieren?

 

Wenn mein Ziel beispielsweise aus einer A-Dressur besteht, das Wetter aber zu heiß ist, um das Pferd zu reiten, kann ich an Teilzielen arbeiten. Ein Teilziel könnte sein, dem Pferd die neuen Lektionen beizubringen. Dann sattle ich mein Pferd gar nicht, sondern übe beispielsweise das Rückwärtsrichten vom Boden aus. Ein weiteres Teilziel könnte sein, die Biegung meines Pferdes zu verbessern. Dann könnte ich TTouches im Schatten machen, um seine Beweglichkeit zu fördern. Ein weiteres Teilziel könnte sein, meine eigene Schiefe zu korrigieren, die es meinem Pferd erschwert, sich nach links zu biegen. Dann könnte ich dem Pferd einen hitzefreien Tag schenken und auf der Yogamatte etwas für meine reiterliche Kondition tun. Und, und, und.

 

Regelmäßig Unterricht zu nehmen, ist auch eine Form von „showing up”, beziehungsweise Engagement für das Ziel. Auch ich als Trainerin versuche, mit meinem Angebot flexibel zu sein, und halte bei Bedarf Unterricht ganz in der Früh oder bis weit in die Abendstunden hinein. Aber es ist nicht möglich, alle Schüler zu diesen Tageszeiten unterzubringen. Glücklicherweise habe ich viele Alternativen zum schweißtreibenden Training im Gepäck, bei denen man nicht unbedingt die warme Reithose anziehen muss. Und auch wenn man anstelle der geplanten Reitstunde Zügelführung auf dem Sessel übt oder neue TTouches lernt, die die Biegung fördern, kommt man seinem Ziel einen Schritt näher.

 

Wenn wir die Strategie „Showing up“ verfolgen, wird aus dem terminierten Ziel, in sechs Monaten eine A-Dressur zu bestreiten, ein Versprechen an sich selbst: zum Beispiel, dreimal pro Woche an einem Thema zu arbeiten, das mich meinem Ziel (der A-Dressur) näherbringt. Und egal, wie klein dieser Schritt war, bekomme ich das Gefühl, doch etwas getan zu haben. Studien haben gezeigt, dass wir dadurch glücklicher sind, weil wir Kontrolle über unsere Lebensumstände gewinnen und uns weniger von den alltäglichen Hürden frustrieren lassen. Wir können uns selbst beibringen, dass Glück mit der Arbeit zusammenhängt, die wir investieren, und nicht so sehr mit dem Ergebnis. Aber das ist ein anderer Blogpost.

 

Zusammenfassung:

Wir brauchen Ziele, um unserem menschlichen Bedürfnis nach Wachstum nachzukommen und auf eine positive Zukunft hinzuarbeiten. Sogenannte SMART-Ziele versprechen uns Erfolg. Aus moralischer Sicht sollte das Erreichen unserer Ziele aber kein Leid für unsere Pferde bedeuten. Wenn wir zu fokussiert auf das Erreichen von Zielen sind, vergessen wir außerdem, die Reise dorthin zu genießen, und können sehr enttäuscht sein, wenn Ziele beispielsweise durch äußere Einflüsse nicht erreicht wurden. Ständig und konsequent kleine Schritte in Richtung unserer Ziele zu machen (das ist „Showing up“) führt hingegen zu mehr Lebensfreude. Die Berücksichtigung der Bedürfnisse unseres Partners, des Pferdes, führt zu einer freundschaftlichen, vertrauensvollen Beziehung mit klaren Grenzen.